Abstract:
Der Beitrag setzt sich mit der Gewährung von Lieferantenkrediten im Kontext der Bestellmengenplanung auseinander. Dabei werden schwerpunkt-mässig die Aufsätze von Wilson (1991) sowie Arcelus und Srinivasan (1993) diskutiert, in welchen das klassische Economic Order Quantities (EOQ) Modell um den Aspekt der Zahlungskonditionen erweitert wird. Die Ansätze werden anhand eigener Überlegungen nachvollzogen sowie kritisch auf ihre Korrektheit und Relevanz hin untersucht. Zudem werden Anknüpfungspunkte für Erweite-rungen vorgestellt, worunter u.a. kooperative Verhandlungsstrategien fallen.
Problemstellung:
Sobald Lieferungen nicht unmittelbar bei Übergabe der Waren durch den Abnehmer bezahlt werden, wird i.d.R. über die Einräumung einer Zahlungsfrist ein Lieferantenkredit gewährt. Dieser kann explizit zwischen den Geschäftspartnern vereinbart worden sein oder implizit durch das nicht sofortige Begleichen der Rechnung entstehen. Dabei kann ein Lieferantenkredit mit oder ohne Zinskosten verbunden sein. Bei verspäteten Zahlungen sind im Normalfall Verzugszinsen zu zahlen, die beispielsweise in Deutschland mit knapp über 8% über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank höher als normale Bankkreditzinsen ausfallen (www.basiszinssatz.de). Während bei längerfristigen Liefervertragskrediten der Effektivzinssatz meistens direkt in den Geschäftskonditionen vermerkt ist, ist dies bei der weit verbreiteten Form der Lieferantenkredite unter Skontoverzicht oftmals nicht der Fall, so dass hierbei die eigentlichen Kosten des Lieferantenkredits bei falscher Berechnung unterschätzt werden können (Huang, 2004; Chung/Huang, 2007).
Insbesondere in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs sowie einem allgemein knappen Liquiditätsniveau rücken Lieferantenkredite (wieder) zunehmend in das Zentrum des Interesses. Zwar stellt ein solcher "Kredit" aus Sicht der Lieferanten ein Wettbewerbsinstrument dar, allerdings werden häufig diese "Finanzierungskosten", welche durch den Zahlungsaufschub und die damit einhergehenden Opportunitätskosten durch die fehlenden, nicht ertragsgenerierend einsetzbaren liquiden Mittel entstehen, wiederum bei Preis- und Vertragsfestlegung an die abnehmenden Kunden weitergegeben (Evans/Koch, 2007). Insgesamt ist davon auszugehen, dass in einer durchschnittlichen Gesamtbetrachtung damit auch vermeintliche "zinslose" Lieferantenkredite den Abnehmern (indirekt) in Rechnung gestellt werden (Wöhe/Bilstein, 1998, S. 232f.).
Abnehmer beanspruchen hauptsächlich deshalb diese Form der Fremdfinanzierung, da sie im Vergleich zu anderen Kreditarten relativ unkompliziert und formlos gewährt wird. So soll mit Hilfe unbezahlter Kreditoren die Kapitalbindung, welche durch gelagerte Waren sowie ausstehende Kundenforderungen besteht, überbrückt werden. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen mit Liquiditätsengpässen oder ungenügender Bonität für Geld- und Kapitalmarktkredite spielen Lieferantenkredite eine relevante Rolle (Evans/Koch, 2007, S. 186ff.). Da aber der verzinste Lieferantenkredit v.a. in Verbindung mit einem Skontoverzicht oftmals teurer als ein Bankkredit ist, sollte die Inanspruchnahme nicht per se, sondern lediglich nach Abwägung der Alternativen und Kosten erfolgen (Perridon/Steiner, 2007, S. 418f.).
Generell bestimmt die Wettbewerbssituation auf der Anbieter- und Nachfragerseite die Vertragsgestaltung und damit die Vergabe sowie die entsprechenden Konditionen für Lieferantenkredite. So sind z.B. bei intensivem Anbieterwettbewerb vielfach Lieferantenkredite anzutreffen. Ã�hnliches gilt für Unternehmen mit ausreichend grosser Marktmacht, welche längere Zahlungsziele ohne bzw. mit tiefen Zinskosten bei ihren Lieferanten durchsetzen können (Paul/Wilson, 2007), was sich positiv auf das Umlaufvermögen auswirkt.
Denn schliesslich sind Unternehmen im Zuge einer Shareholder Value-Orientierung (Rappaport, 1998) zunehmend angehalten, zur Wertsteigerung ein aktives Management der Positionen des Umlaufvermögens und der kurzfristigen, zinslosen Verbindlichkeiten zu betreiben, was als Working Capital Management bezeichnet wird. Das Working Capital Management aus Sicht eines einzelnen Akteurs hat zum Ziel, die Kapitalbindung in Beständen und Forderungen zu minimieren und den Mittelabfluss durch lange Zahlungsziele der Kreditoren zu verzögern, um die so freiwerdenden Mittel zur Innenfinanzierung zu verwenden und die Inanspruchnahme von Fremdkapital zu senken (Garcia-Teruel/Martinez-Solano, 2007). Konkret besteht das Working Capital Management aus den Bereichen Lieferanten-, Bestands-, Debitoren- und Risikomanagement, an denen die Unternehmensfunktionen bzw. einheiten Einkauf, Produktion, Marketing, Finanzen, Logistik und Controlling mehr oder weniger stark beteiligt sind (Scherr, 1989). Eine Problematik besteht u.a. darin, dass die Optimierung der einzelnen Stellschrauben des Working Capital Managements zu Zielkonflikten führt (Wildemann, 2007, S. 16ff.): Denn beispielsweise führen niedrige Bestände zwar zu einer tieferen Kapitalbindung, aber wenn dadurch die Sicherheit von Kundenbelieferungen sinkt, gefährdet dies womöglich die Marktreputation des Unternehmens und letztlich dessen langfristigen Erfolg. Deshalb sind Unternehmen bestrebt die einzelnen Felder integriert zu betrachten, was beispielsweise durch die Berücksichtigung des Cash-to-Cash-Cycles erreicht werden soll (Farris/Hutchison, 2003, S. 83ff.). Dabei werden die einzelnen Felder des Working Capitals in drei miteinander verbundene Subprozesse unterteilt. Mit dem Order-to-Cash-Prozess wird dabei die Auftragsabwicklung bis zum Zahlungseingang, mit dem Forecast-to-Fulfill-Prozess die Umsatzplanung bis zur Leistungserstellung, sowie mit dem Procure-to-Pay-Prozess der Beschaffungsbedarf bis zur Zahlungsausführung abgedeckt und gesteuert.
Die Thematik der Lieferantenkredite ist dabei vor allem dem letzten Teilprozess zuzuordnen, da sich in diesem neben der konkreten Bestellmengenplanung auch das Lieferantenmanagement verorten lassen. Aus den skizzierten Zusammenhängen lassen sich nun die leitenden Forschungsfragen des vorliegenden Aufsatzes ableiten.
Forschungsfrage FF1: Wie lässt sich ein gewährter Lieferantenkredit in Form von Zahlungszielen aus Sicht eines abnehmenden Unternehmens in der Bestellmengenplanung (z.B. im klassischen EOQ-Modell) integrieren?
Um das Thema der Lieferantenkredite umfassend zu beleuchten, ist die abnehmerseitige Betrachtung um die Perspektive des Zulieferers zu erweitern. Schliesslich verfolgt Letzterer damit eine bestimmte Zielsetzung: Er möchte den Abnehmer zum Kauf zusätzlicher Waren bewegen, wobei ihm nach Teng (2002) neben zahlreichen Marketing-Mix-Elementen u.a. eine Preisreduktion oder eine Verlängerung der von ihm gewährten Kreditfrist als Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Insbesondere die letzte Variante scheint von Interesse zu sein, da - wie bereits Haley/Higgins (1973) oder Blattberg et al. (1981) ausführen - dabei die Preise unverändert bleiben und so kein Druck auf Wettbewerber ausgeübt wird, die in einer Preisabwärtsspirale enden könnten. Falls der Zulieferer einen ausreichenden Zusatzbestand an Fertigwaren besitzt, kann er demnach versuchen, diesen an den Abnehmer über die Gewährung einer längeren Zahlungsfrist abzusetzen. Dabei stellt sich die Frage nach welchem Entscheidungskalkül sich das abnehmende Unternehmen und nach welchem sich der Zulieferer verhält. Insgesamt ist zu erwarten, dass Effizienzsteigerungen über eine integrierte Betrachtung des Zuliefer-Abnehmer-Problems möglich sind (Goyal, 1976). Damit konstituiert sich die zweite Forschungsfrage dieses Beitrags.
Forschungsfrage FF2: Welche Entscheidungsmodelle liegen einer integrierten Zulieferer-Abnehmer-Beziehung im Kontext des klassischen EOQ-Modells unter Berücksichtigung von Lieferantenkrediten zu Grunde und wie lassen sich kooperative Verhandlungsstrategien darin bestimmen?
Zur Beantwortung der beiden Forschungsfragen wird folgendes Vorgehen gewählt: Nach der Einleitung erfolgt in Abschnitt 2 die Vorstellung und Diskussion des EOQ-Basismodells unter Beachtung von Lieferantenkrediten. Danach wird in Abschnitt 3 eine einfache Erweiterung um Lagerhaltungskosten vorgenommen (= Beantwortung FF1). In Abschnitt 4 werden zunächst Entscheidungsmodelle des Abnehmers und des Zulieferers getrennt voneinander hergeleitet, bevor eine integrierte Betrachtung sowie kooperative Lösung des Optimierungsproblems erfolgt (= Beantwortung FF2). Der Aufsatz schliesst mit Abschnitt 5, in dem eine kritische Würdigung der Überlegungen vorgenommen sowie Anknüpfungspunkte für vertiefende Folgearbeiten gegeben werden.