Das sogenannte Web 2.0 und der damit verbundene Wandel haben eine neue Stufe der Medien- und Kommunikationsevolution ausgelöst. Unternehmen müssen auf diese Möglichkeiten durch eine Veränderung ihrer eigenen Strategien und Konzepte reagieren. Fehler oder Mängel in der Unternehmensleistung können heute unmittelbar von jedem Interessierten aufgegriffen und über Blogs, WIKIs und soziale Netzwerke zum Thema gemacht werden. Durch den hohen Vernetzungsgrad dieser Kommunikationsformen verbreitet sich Kritik in kürzester Zeit und wird in Folge der zunehmenden Interaktion von Online- und Offline-Medien auch durch traditionelle Medien aufgegriffen. Reagieren Unternehmen auf diesen Prozess nicht ebenso schnell und mit adäquaten Mitteln, so können aus individuellen kritischen Anmerkungen weit reichende Gefährdungen für die Unternehmensreputation und Markenintegrität entstehen. Auf der anderen Seite macht die höhere Vernetzung der Teilnehmer das Internet zu einem wichtigen Verstärkungsinstrument für das Agendasetting im Netz und ermöglicht neue Perspektiven für Marketing und Unternehmenskommunikation.
In den letzten Jahren lässt sich ein intensiver Dialog rund um die Anwendung von Social Media beobachten. Dieser führt zu vielen und teilweise unterschiedlichen Meinungen, jedoch liegen bisher kaum wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse zum Einsatz von Social Media in Marketing und Unternehmenskommunikation vor. Das Institut für Marketing an der Universität St.Gallen hat daher mit Next Corporate Communication eine Plattform zur Erforschung der Perspektiven von Social Media in Unternehmen geschaffen. Dabei werden in Kooperation mit Forschungspartnern aus Wissenschaft und Praxis u.a. die begrifflichen Grundlagen, Chancen und Risiken, strategischen Anwendungskonzepte, internen Bedingungen, Kontextfaktoren und Trends für die Umsetzung von Social Media in Marketing und Unternehmenskommunikation untersucht. Der Untersuchungsprozess ist in verschiedene Teilphasen gegliedert. Teilbericht 1 bezieht sich auf die Darstellung der ersten Ergebnisse aus qualitativen Tiefeninterviews mit 101 Unternehmen, Dienstleistern und Wissenschaftlern.
In Bezug auf die Leitfragen des Forschungsprogramms bietet die vorliegende Untersuchung interessante Einblicke in die Grundlagen und Anwendungsprinzipien von Social Media in der Unternehmenspraxis. Aus Sicht der begrifflichen Einordnung der Thematik erfolgt häufig eine Referenzierung von Social Media auf das sogenannte Web 2.0. Die Evaluation der zugehörigen Begriffsinterpretationen macht deutlich, dass unter Web 2.0 weniger eine klare Trennung zwischen zeitlich abgrenzbaren Formaten des Internet zu verstehen ist. Web 2.0 bezeichnet vielmehr eine Medien- und Kommunikationsevolution, die aus Sicht der Befragten durch Merkmale wie Interaktion, User Generated Content, Rollenwandel, Real-Time Kommunikation oder soziale Netzwerke gekennzeichnet ist. Die Relevanz dieser Entwicklungen steigt aus Sicht aller befragten Teilgruppen an. Eine Mehrzahl der Interviewpartner erwartet fundamentale Auswirkungen von Social Media auf die etablierten Marketing- und Kommunikationssysteme. Dies ist aus Unternehmensperspektive mit Chancen und Risiken verbunden. Die grössten Chancen von Social Media werden in der Möglichkeit zur direkten Kundeninteraktion, der Nutzung von Feedback und Wissen der Kunden sowie Vorteilen in Bezug auf das eigene Branding, Service- und Wissensmanagement gesehen. Dagegen liegt das grosse Risiko aus Sicht der befragten Interviewpartner in der mangelhaften Anwendung von Social Media und den daraus entstehenden Folgewirkungen für die eigene Reputation und Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus nehmen besonders die befragten Unternehmen einen Kontrollverlust durch Social Media wahr. Aus der qualitativen Forschung lassen sich auch Einblicke in den Stand der Umsetzung von Social Media in Unternehmen gewinnen. Dabei zeigt sich zunächst eine starke Varianz in Bezug auf die gemachten Erfahrungen. Im Allgemeinen haben Unternehmen das Thema Social Media bislang jedoch nur punktuell und isoliert umgesetzt. In der Fläche fehlt es noch an strategischen und integrierten Ansätzen zur Gestaltung von Social Media in Marketing und Unternehmenskommunikation. Darüber hinaus ist die organisatorische Verantwortung für Social Media nur in Einzelfällen geklärt. In der Regel wird das Thema in unterschiedlichen Abteilungen aufgegriffen und Bottom Up weiterentwickelt. Strategische Projekte unter Integration aller beteiligter Abteilungen mit Commitment des Top Managements sind bisher eher der Ausnahmefall. Eine strategische Umsetzung von Social Media in Marketing und Unternehmenskommunikation kann sich auf Basis der vorliegenden Forschung an vier Gestaltungsfeldern orientieren. Dabei lassen sich die relevanten Fragestellungen im Sinne eines Strategie-, Steuerungs-, Ressourcen- und Anwendungskonzepts systematisieren. Darüber hinaus bietet der Teilbericht Einblicke in die internen Anforderungen, die Unternehmen im Sinne der erfolgreichen Umsetzung einer Social Media Strategie bewältigen müssen. Dazu zählen in erster Linie die Verbesserung der internen Kooperation und Kommunikation, Support durch das Top Management, Verfügbarkeit von Ressourcen sowie allgemein die strategische Einbettung von Social Media in die Gesamtkommunikation. Abschliessend zeigt die Forschung einige Trends und Tendenzen auf, die zukünftig für den Umgang mit Social Media in Unternehmen von strategischer Bedeutung sind. Dabei lassen sich massgeblich die strategische Integration von Social Media selbst, die Möglichkeiten von Bewegtbild und Mobile Communications sowie der Umgang mit Masse und Qualität des verfügbaren Content nennen.