Replik zu den Kritiken zum EuS-Hauptartikel "Integrative Wirtschaftsethik: Grundlagenreflexion der ökonomischen Vernunft" (erschienen im selben Heft von Ethik und Sozialwissenschaften)
Wirtschaftsethik ist jene junge Hybriddisziplin, die sich zentral mit dem Spannungsverhältnis zwischen den ethisch-praktischen Legitimationsvoraussetzungen und den Funktionsbedingungen eines modernen Wirtschaftssystems beschäftigt. Von diesem gesellschaftspolitischen Spannungsfeld her ist die Grundlagendiskussion um die Konzeption moderner Wirtschaftsethik zu verstehen. Es geht im Kern um die Grundfrage, ob sie ihr konstitutives Vermittlungsproblem unter dem Primat der ökonomischen (System-) Rationalität oder dem der ethisch-praktischen Vernunft zu lösen versuchen soll. Hinter den "esoterischen" Disputen um die innertheoretischen Vorzüge bzw. Probleme alternativer Ansätze verbergen sich unterschiedliche Einschätzungen der relevanten "exoterischen", gesellschaftlichen Herausforderungen. Es kommt darauf an, dieses jeweilige Vorverständnis mitzureflektieren und sich darauf zu besinnen, was wirtschaftsethische Theorieentwürfe im aktuellen sozioökonomischen Kontext bedeuten, d.h. welche wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Tendenzen sie praktisch unterstützen. Der Beitrag zielt zum einen darauf, diese Zusammenhänge in bezug auf den strikt institutionenökonomischen Ansatz von "Wirtschaftsethik" zu verdeutlichen, wie ihn vor allem Karl Homann vertritt. Angesichts der Faszinationskraft, die der economic approach neuerdings auch auf die philosopische Ethik auszuüben scheint, halte ich die kritische Auseinandersetzung damit gerade im Kreise von "praktischen" Philosophen für wichtig. Zum andern kann auf diesem Wege auch zwanglos der von mir selbst vorgeschlagene grundlagenkritische Ansatz integrativer Wirtschaftsethik auf diskursethischer Basis ein Stück weit praktiziert und so seine kritisch-normative Kaft erprobt statt nur theoretisch postuliert werden. Aus ihm ergibt sich die lebensweltliche (und zugleich systembezogene) Perspektive einer kritischen Institutionenethik der Wirtschaft.
Der Beitrag entstand im Zusammenhang mit dem Auftrag, an einer Fachtagung an der Universität Erfurt, die der vergleichenden Zwischenbilanzierung der wirtschafsethischen Debatte im deutschsprachigen Raum diente, den eigenen Ansatz selbstkritisch in Bezug auf seine Stärken und Schwächen, das Erreichte und die Forschungsdesiderate einzuschätzen.
Das grundlegende Problem einer integrativen Wirtschaftsethik ist die systematische Vermittlung der (wirkungsmächtigen) ökonomischen Rationalität mit ethisch-praktischer Vernunft. Ziel des Beitrags ist es, die systematischen Grundzüge einer modernen Wirtschafts- und Unternehmensethik zu präsentieren, die dieses konstitutive Vermittlungs- und Integrationsproblem ernst nimmt, statt sich wie die Mehrzahl der Positionen und Perspektiven, die heute unter der Flagge der "Wirtschaftsethik" segeln, schon im Ansatz entweder auf "angewandte (reine) Ethik" oder auf "angewandte (reine) Ökonomik" zu beschränken. Nach der Klärung des vorgeschlagenen grundlagenkritischen Ansatzes integrativer Wirtschaftsethik (Abschnitt 1) wird eine erweiterte sozialökonomische Rationalitätsidee entwickelt, die den moral point of view einer Vernunftethik des Wirtschaftens darstellt. Damit ist freilich erst das kategoriale Grundkonzept integrativer Wirtschaftsethik bestimmt; seine entscheidenden praktischen Konsequenzen sind institutionenethischer Art (Abschnitt 2). Auch auf der Ebene der Unternehmensethik sind deshalb institutionenethische Überlegungen zur Frage, was denn eine Unternehmung als gesellschaftliche Institution überhaupt sein soll, grundlegend (Abschnitt 3). Schliesslich werden Leitideen einer integrativen Unternehmensethik auf drei auseinanderzuhaltenden institutionelle Ebenen formuliert, die insbesondere auch das unternehmensethische Postulat der ordnungspolitischen Mitverantwortung der Führungskräfte der Wirtschaft umfassen (republikanische Unternehmensethik) und damit den realpolitischen Zusammenhängen zwischen Wirtschaft und (Ordnungs-)Politik Rechnung tragen, statt diese wie üblich nur als das "Jenseits" von unpolitisch gedachter Unternehmenspolitik aufzufassen (Abschnitt 4)