Ethikprofessor Peter Ulrich sieht eine Verrohung der Sitten, der man nicht durch mehr, sondern bessere Regulierung der Märkte und persönliche Integrität entgegenwirken kann.
Wenn Unternehmensethik sich weder damit begnügen will, als (ohnmächtiges) moralisches Korrektiv gegen die (wirkungsmächtigen) betriebswirtschaftlichen Sachzwänge anzureden, noch damit, diese sogleich zu Denkzwängen einer unternehmerischen "Sonderethik" zu erheben, muss sie der betriebswirtschaftlichen Sachlogik kritisch auf den normativen Grund gehen. Es kommt darauf an, mehr ethisch-praktische Vernunft in die betriebswirtschaftliche Rationalität hineinzubringen. Die neue betriebswirtschaftliche Sachlichkeit ist die Sachlichkeit des scheuklappenfreien Umgangs mit den ethisch-normativen Voraussetzungen vernünftigen Wirtschaftens.
Selten ist die Ohnmacht der Politik gegenüber den globalen Finanzmärkten so deutlich geworden wie derzeit. Wie lässt sich, wenn überhaupt, der Finanzkapitalismus in gemeniwohlverträgliche Schranken verweisen und zugleich die freiheitsförderliche Rolle des privaten Eigentums stärken?
Abschiedsvorlesung, gehalten am 5. Mai 2009 im Audimax der Universität St. Gallen
Es macht den Anschein, dass wir derzeit den Kulminationspunkt einer zu weit getriebenen moralischen Enthemmung und institutionellen Entfesselung wirt-schaftlichen Vorteilsstrebens erleben. Die Erschütterung des "Vertrauens" in das bestehende Wirtschaftssystem durch die aktuelle Finanz- und Wirtschafts-krise ist gross. Jetzt möchte jedermann "Teil der Lösung, nicht des Problems" sein. Aber wir können gar nicht wissen, was der Kern des Problems ist, bevor wir unseren Orientierungshorizont sinnvollen und legitimen Wirtschaftens ge-klärt haben. Geht es um weniger "Gier" (individuelle Selbstbegrenzung), um mehr Regulierung (Systemsteuerung) oder um neue Leitideen des gesellschaft-lichen Fortschritts? Was kann eine integrative wirtschaftsethische Perspektive beitragen zum Verständnis der Zusammenhänge und zur Gewinnung von trag-fähigen Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens?
Skizziert wird ein tour d'horizon zur aktuellen politisch-ökonomischen Problem-lage in fünf Schritten - von den Indizien einer epochalen Herausforderung (1) und ihrem real- und ideengeschichtlichen Kontext (2) zur Ausleuchtung der normativen Tiefenstrukturen der bisherigen verbreiteten Marktgläubigkeit (3), zum Entwurf des sie überwindenden Fortschrittshorizonts einer buchstäblich "zivilisierten" Marktwirtschaft (4) und schliesslich zur sich daraus ergebenden "wirtschaftsbürgerlichen" Bildungsaufgabe und ihren systematischen Konse-quenzen für die Wirtschaftswissenschaften (5).